Eulenspiegel Nr.2 im Sommersemester 96

Perspektive 2000

Ralf Uwe Pfau

Revisionsdatum: Mai 1996

Noch 1339 Tage bis zum 1.1.2000. Bis zu diesem Datum werden viele von Euch noch studieren , auch wird die Landesregierung sich vermutlich nicht geändert haben. Doch bei viele der sozialen Rahmenbedingungen sind Änderungen geplant. Ein vernünftiges Konzept hinter den Umbauten ist bisher nicht erkennbar, es drängt sich der Eindruck auf, daß nur jeweils reagiert wird und dabei von denen genommen, die am wenigsten laut schreien, nicht soviel Einfluß auf die Politiker ausüben. Amerika wird wegen der jüngsten augenscheinlich erfolgreichen Politik der Jobbeschaffung zum Vorbild für unsere maroden Verhältnisse genommen, die es zu verändern gilt, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Übersehen wird, daß durch die notwendigen 'Einsparungen' auf allen Ebenen und durch die Schaffung fragwürdiger Beschäftigungsschemata, z.B. bei Arbeitsplätzen (McJobs, die sogenannte Jobmaschine), der sozialen Absicherung, viele Probleme nur unter den Teppich gekehrt, nicht aber wirklich behoben werden. Diejenigen. die durch das erweiterte Netz fallen, tauchen in fast keiner Statistik auf. Das deutsche Alternativmodell der sozialen Marktwirtschaft wird schrittweise deformiert.

Damit verändert sich auch die Situation für Studierende, Paragraph für Paragraph. Die Wenigsten der Studierenden fühlen sich wirklich angesprochen, weil diese Gesetzgebung sie nicht unmittelbar betrifft. Solange auch auf die Unterstützung durch die Eltern bauen kann, fällt es schwer, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die keinen entscheidenden Einfluß auf das eigene tägliche Leben haben. Lang studieren war und ist nur für den möglich, der von daheim gut abgesichert ist. Die Studiengebühren kann der Vater ja von seiner Steuer absetzen, wodurch ihm dies gut paßt. - Es scheint nicht vorstellbar, daß jemand nicht das Geld hat, um diese Gebühr bezahlen oder vorfinanzieren zu können, die ja den Bedürftigen wieder erstattet wird - zumindest teilweise. Wenn insgesamt den Leuten mehr Geld abgenommen werden soll, um den Staatshaushalt zu finanzieren, so scheint dies nur bei den Armen möglich zu sein, die Reichen können es immer wieder irgendwie gegenrechnen, sich die Mehrausgaben auf die Steuer anrechnen lassen. Es kommt also doch wieder zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft (auch an den Unis), bei der für Ärmere höchstens die dritte Klasse übrig bleibt. Eine stärkere Differenzierung wird angestrebt, doch nicht leistungsmäßig, sondern sozial: Es überleben die finanziell Stärksten! Es ist eine Milchmädchenrechnung, daß Geld aus dem Nichts kommt. Irgendjemand wird es fehlen: entweder beim Luxus oder an der Substanz.

Der Staat spart auch an anderen Stellen im sozialen Netz. Immer umfangreichere Einschnitte stehen zur Diskussion, wobei auch Studierende davon nicht ausgenommen werden. Bedauerlicherweise trifft es immer die gleichen Menschen, sie sind eben von verschiedensten Seiten auf Hilfe zum Leben angewiesen. Jede einzelne der Maßnahmen mag für sich ertragbar sein, doch in Kombination beraubt sie vielen die Möglichkeit zu einem menschlichen Leben über dem Niveau des nackten Überlebens: Kürzung des Krankengeldes, Lohnfortzahlung, Mietbeihilfe, des Kindergeldes bei zuviel BaföG - was im Prinzip bedeutet, daß die Familie arm ist, also jeden Pfennig gebrauchen kann! usw. was noch so alles in Zukunft kommen wird. Die Möglichkeit zu studieren, wird für einige nicht mehr zur Diskussion stehen, weil sie zum Überleben ihrer Eltern beitragen müssen. Es lebe das Recht auf die freie Berufswahl!

Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst; und niemand protestiert dagegen! Die Ärmeren haben keine Lobby, die für sie eintritt, es könnten dies ja nur Bessergestellte tun, an deren Geldbeutel es gehen würde. Auch die Studenten heutzutage sind satt und zufrieden, zumindest diejenigen, die es sich leisten können. Die anderen sind in der Minderheit, wen kümmert dies schon, solange man selbst nicht dazugehört ?

Fachschaft math/inf