Eulenspiegel Nr.2 im Sommersemester 96

Fällt das Fernmeldegeheimnis ?

Ein Jahr nach Erlaß der Fernmeldeverkehr-Überwachungsverordnung arbeitet die Bundesregierung jetzt an einem Kryptographie-Verbot. Beide Maßnahmen zusammen ermöglichen eine fast vollständige Überwachung des Telephon- und Datenverkehrs.

Gregor Gößler

Revisionsdatum: Mai 1996

Die Entwicklung ist nicht neu: Schon das Ende 1994 in Kraft getretene Verbrechensbekämpfungsgesetz ermächtigt den BND zur verdachtslosen Rasterfahndung. Dabei werden Auslandstelephonate routinemäßig auf bestimmte Schlüsselwörter gescannt und gegebenenfalls automatisch aufgezeichnet. Nach Angaben des Bundesdatenschutzbeauftragten, Dr. Joachim Jakob, liegt die Anzahl der so überwachten Gespräche bei einer sechsstelligen Größenordnung täglich. Wer ins Ausland telephoniert, kann also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, in die Rasterfahndung einbezogen zu werden. Darüberhinaus erlaubt das Gesetz die Weitergabe der so gewonnenen Daten an andere Behörden. Eine nachträgliche Benachrichtigung der Betroffenen über die erfolgten Abhörmaßnahmen wird vom Gesetz ausgeschlossen.

Eine solche Politik betrachtet jeden Menschen als potentiellen Verbrecher; der Staat muß keinen konkreten Verdacht schöpfen, um ihn wie einen Verdächtigen zu behandeln. Das Unschuldsprinzip wird auf den Kopf gestellt.

Gegen dieses Gesetz legte der Hamburger Strafrechtsprofessor Köhler vergangenes Jahr Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht ließ die Befugnisse des BND zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs vorläufig bestehen, schränkte aber per einstweiliger Anordnung das Recht zur Verwertung der gewonnenen Daten ein. Die Richter begründeten ihre Entscheidung mit der erheblichen Gefahr, daß auch Personen betroffen seien, gegen die kein konkreter Verdacht vorliege, sowie mit zu befürchtenden Kommunikationsstörungen und Verhaltensanpassungen der Bürger. Das endgültige Urteil liegt noch nicht vor.

Vor fast genau einem Jahr unternahm die Bundesregierung einen erneuten Vorstoß: Mit der Fernmeldeverkehr-Überwachungsverordnung (FÜV) wurden die Betreiber von Telekommunikationsanlagen zur Schaffung der technischen Rahmenbedinungen zum massiven, automatischen Abhören von Kommunikationsverbindungen verpflichtet (s. Eulenspiegel 3/95). Dabei muß der Betreiber sicherstellen, daß gleichzeitig mehr als eine Überwachungsmaßnahme in bezug auf ein und denselben Anschluß durchgeführt werden kann. Die Installation dieser Abhörschnittstellen muß bis zum 31. Mai abgeschlossen sein.

In dem Anfang diesen Jahres ausgearbeiteten Entwurf eines Telekommunikationsgesetzes (TKG-E) werden die Betreiber von Telekommunikationsanlagen verpflichtet, ihre gesamten Kundendaten online verfügbar zu halten, so daß die Regulierungsbehörde einzelne Daten oder Datensätze in einem von ihr vorgegebenen automatischen Verfahren abrufen kann, und sicherzustellen, daß ihnen Abrufe nicht zur Kenntnis gelangen können. Die Daten müßen den Strafverfolgungsbehörden, den Polizeien des Bundes und der Länder für Zwecke der Gefahrenabwehr - sprich: Verdacht genügt -, dem Zollkriminalamt, den Verfassungsschutzbehörden, dem MAD und dem BND übermittelt werden, soweit dies zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist ( 87).

Die bereitzustellenden Daten enthalten bei weitem nicht nur allgemeine Kundendaten wie Telephonnummern und Adresse, sondern z.B. auch die Verbindungsdaten erfolgter Telephonate oder -- etwa bei Internetprovidern -- die vom Kunden abonnierten Diskussionsgruppen. Damit hat die Regulierungsbehörde direkten Zugriff auf weitreichende Daten aller Kommunikationsteilnehmer. Sie ist dabei nur ausführendes Organ, das die Rechtmäßigkeit der Überwachungsaufträge nicht zu prüfen hat. Der TKG-Entwurf sieht nicht einmal vor, daß die Regulierungsbehörde nur im Zuge einer Überwachung Daten sammeln darf.

Um die Umsetzung schnell und reibungslos zu gestalten, enthält §85 folgenden Passus: Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die technische und organisatorische Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen ... zu regeln.

Über die durchgeführten Überwachungsmaßnahmen ist jährlich eine Statistik zu erstellen, die jedoch Dritten nicht zur Kenntnis gegeben werden darf; das Ausmaß der Überwachung soll geheim bleiben. Schon 1992 waren in Deutschland über vier mal so viele Telephonüberwachungen richterlich angeordnet worden wie etwa in den USA.

Noch ist das Telekommunikationsgesetz nicht verabschiedet; die Bundesregierung arbeitet jedoch darauf hin, es noch vor der Sommerpause durchzusetzen.

Wie ernst unser Staat selbst schwache gesetzliche Restriktionen seiner Befugnisse bezüglich der Überwachung seiner Bürger nimmt, zeigt ein kürzlich bekannt gewordener Fall: Schon vor der richterlichen Anordnung einer Abhöraktion im Rahmen des Großen Lauschangriffs waren in Sachsen bei einem Verdächtigen "Probeaufnahmen" gemacht worden...

Die technischen und gesetzgeberischen Voraussetzungen für einen höchst effizienten, geradezu orwellsch anmutenden Überwachungsapparat bestehen also bzw. sind in den nächsten Monaten zu erwarten. Bislang blieb dem Bundesbürger zur Wahrung seiner Privatsphäre -- zumindest theoretisch -- noch die Kryptographie, die Verschlüsselung zu übertragender Daten und Gespräche. Doch auch mit dieser Freiheit wird bald Schluß sein, wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht. Diese arbeitet nämlich derzeit ein Kryptoverbot aus, nach dem Verschlüsselungssoftware nur noch unter staatlicher Aufsicht von speziell überprüften Anwendern eingesetzt werden darf, sprich: der geheime Schlüssel ist bei einer Behörde zu hinterlegen. Zudem soll nur noch der Einsatz staatlich zugelassener Verschlüsselungsverfahren erlaubt sein.

Die Wahrung der eigenen Privatsphäre wird damit zum Straftatbestand.

Auch dieser Vorstoß geht auf Bundesinnenminister Kanther zurück, der nicht davor zurückschreckt, die Grundrechte in fortschreitendem Maße seinen Vorstellungen von law and order zu opfern unter dem Vorwand, damit die organisierte Kriminalität bekämpfen zu können. Daß sich diese um ein Kryptoverbot wenig scheren und auf steganographische Methoden ausweichen wird -- Verfahren also, mit denen sich die verschlüsselten Daten in anderen, unverfänglichen Daten verstecken lassen --, gilt unter Experten als offensichtlich. Die Leidtragenden sind die gesetzestreuen Bürger, die ihre Kommunikation nicht illegal sichern wollen und können.

Diese Ansicht vertritt auch die Gesellschaft für Informatik (GI), die in einer Erklärung die vorgesehene Beschränkung der Kryptographie scharf verurteilt, da sie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ungeeignet sei, aber den dringend notwendigen Schutz von Betriebs-, Geschäfts-, Berufs- und Privatgeheimnissen gefährden. Durch eine zentrale Hinterlegung und zusätzliche Sicherheitskopien werde die Gefahr des Mißbrauchs noch wesentlich gesteigert.

Der Strafrechtsprofessor Köhler hält ein Verschlüsselungsverbot für verfassungsrechtlich bedenklich und vergleicht es sogar mit dem Verbot, eine Sprache zu sprechen.

Das Fernmeldegeheimnis wird nicht aus dem Grundgesetz gestrichen, aber ausgehöhlt und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Ohne Fernmeldegeheimnis wird es aber in der Informationsgesellschaft praktisch überhaupt keine Geheimnisse mehr geben. Zu ernsthafter Besorgnis besteht allerdings nach wie vor kein Anlaß, besinnt man sich auf die beruhigende Gewißheit: Die Gedanken sind frei.

FÜV: Bundesgesetzblatt Teil I, Jahrgang 1995, Nr. 26 TKG-E: Bundestagsdrucksache 13/3609 vom 30.01.96 und Bundesratsdrucksache 96/1/86

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