Eulenspiegel Nr.3 im Sommersemester 95

Der Schritt zum Überwachungsstaat

Gregor Gössler

Revisionsdatum: Juni1995

Am 19. Mai trat, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, die Fernmeldeverkehr-Überwachungs-Verordnung (FÜV) in Kraft. Ihr Zweck ist in erster Linie, das Abhören der digitalen Telefonnetze zu ermöglichen. So muß künftig jeder Betreiber eines Kommunikationsnetzes eine standardisierte Abhörschnittstelle bereitstellen, d.h. Stand- oder ISDN-Wählleitungen zu den überwachenden Behörden, den "Bedarfsträgern", die automatisch aktiviert werden, sobald der zu Überwachende zum Hörer greift oder angerufen wird.
Stellt der Betreiber seinen Kunden die Möglichkeit der Verschlüsselung zur Verfügung, muß er dem Bedarfsträger die Gespräche abzuhörender Personen in unverschlüsselter Form zugänglich machen.

Damit wird das Abhören beliebig parallelisierbar und automatisierbar; das Ausmaß der Überwachung wird technisch nur noch durch Umfang der bereitgestellten Rechnerleistung begrenzt. Zwar muß nach wie vor die Anordnung eines Richters oder Staatsanwaltes vorliegen, aber die Infrastruktur für die totale Überwachung ist geschaffen. Schon heute wird in Deutschland wesentlich häufiger abgehört als etwa in den USA.

Unter die Bestimmungen der FÜV fallen aber auch öffentlich zugängliche Computernetze. Die Folgen einer konsequenten Anwendung z.B. auf das Internet wären kaum abschätzbar. Mit Sicherheit aber könnte das Netz nicht in seiner derzeitigen Form weiterbestehen.

Die FÜV ist auch rechtlich fragwürdig, da sie als Verordnung der Bundesregierung - Bundestag oder Bundesrat waren nicht beteiligt - das Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) wesentlich einschränkt.

Als Rechtfertigung für eine solche Verordnung wird häufig der Kampf gegen das organisierte Verbrechen genannt, dabei aber gerne vergessen, daß gerade diese Kreise immer über die technischen Möglichkeiten verfügen werden, Nachrichten zu verschlüsseln und unbemerkt auszutauschen.

Sollte - wie in Frankreich bereits geschehen - eine Verordnung oder ein Gesetz folgen, das die Verschlüsselung von Mails oder Telefongesprächen de facto verbietet, wäre der gläserne Kommunikationsteilnehmer perfekt und die Verteidigung der eigenen Privatsphäre ein Straftatbestand. Verschlüsselt also Eure E-Mails, zumindest gelegentlich mit entsprechenden Programmen - genannt sei hier PGP, erhältlich per FTP von ftp.uni-hamburg.de -, denn je verbreiteter das Verschlüsseln ist, desto schwerer wird ein derartiges Gesetz durchsetzbar sein. Das Verschlüsseln von E-Mails sollte so selbstverständlich werden wie der Gebrauch von Briefumschlägen, denn es ist ja durchaus legitim, Geheimnisse vor dem Staat zu haben.

Wer diese Ausführungen für übertrieben hält, möge sich die FÜV einmal selbst durchlesen. Fachschaft math/inf