Eulenspiegel Nr.1 im Wintersemester 95/96

Leserbrief

Frank Stephan

Revisionsdatum: Oktober 1995

Ich habe Eure Artikel über Abhörvorgänge im 3. Eulenspiegel des Sommersemesters 1995 gerne gelesen. Hierzu ein paar Anmerkungen:

(1) Man wird auch heute recht schnell Opfer der Telefonüberwachung. So z.B. folgender Vorfall, den Ralf Schernewsky in der Zeitung Julchen 11/93 des Kreisverbandes Karlsruhe veröffentlichte:
In einer Zeitung fand er eine kuriose Anzeige, die seine Neugier erregte. Daraufhin wählte er die dort angegebene Telefonnummer an, legte aber wieder auf, bevor sich jemand meldete. Einige Zeit später erhielt er Besuch von der Polizei, da es sich um eine Anzeige zur Kontaktaufnahme mit einem Erpresser handelte. Nach dem Verhör ereignete es sich, daß aus dem Telefon FAX-Geräusche kamen und Bundespostbeamten ihm mitteilten, daß sie seine Störungsmeldung bearbeiteten, die er überhaupt nicht gestellt hatten.
Nach einiger Zeit wandte er sich an die BNN, woraufhin Redakteur Theo Westermann bei der Polizei die Auskunft erhielt, daß das Telefon 24 Stunden überwacht worden ist. Die Beamten der Post waren wohl von ihrem Auftrag so überzeugt, daß sie ihn vorsätzlich sabotiertert haben.

(2) Auch bei den üblichen G10-Überwachungen wird man oft nicht hinterher informiert. Als ich ca. ein Jahr nach dem Vorfall mit Ralf Schernewsky darüber sprach, hatte man ihn noch nicht offiziell darüber aufgeklärt, wohl aber war ihm die Angelegenheit über die BNN bekannt geworden. Ich kenne noch weitere Leute, die nach eigenen Angaben von Abhörvorgängen betroffen waren, aber nie darüber offiziell informiert wurden. Gerade die Anzahl der indirekt Betroffenen, d.h. derjenigen, die mit einem Abgehörten telefonieren, ist sehr hoch. So gab es in Baden-Württemberg einen Untersuchungsausschuß, der darüber zu befinden hatte, ob es rechtmäßig war, den CDU-Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Herrn Oettinger, darüber aufzuklären, daß er Opfer einer indirekten Abhörmaßnahme geworden war: Er speiste regelmäßig in einem Lokal, daß wegen Mafiakontakten überwacht wurde. Von dort telefonierte er öfters über das Telefon der Lokalität. Da an der Zuverlässigkeit des Abgeordneten kein Zweifel bestand, befand der Ausschuß es als rechtmäßig, daß man ihn über diesen Eingriff aufklärte (was auch meine Meinung ist). Die meisten indirekten Opfer werden jedoch nicht aufgeklärt, wahrscheinlich würde sonst auch die Akzeptanz von Abhörmaßnahmen sinken.

(3) Falls der große Lauschangriff eingeführt wird, kann Verschlüsselung durch die direkte Überwachung des Computers umgangen werden. Die ermittelnden Behörden schneiden dann alles mit, was in den Computer eingetippt oder auf dem Bildschirm dargestellt wird und werten das automatisch aus. In einem einfachen Experiment kann man z.B. den Omicron-Basic Editor seines Atari 1024 ST laden und dann ein Radio neben den Computer stellen. Wenn man die richtige Frequenz findet, hört man im Radio, wie man im Editor mit den Cursortasten Zeilen hoch oder runter geht. Außerdem kann man den Cursor piepen hören. Daran sieht man, daß es wahrscheinlich recht einfach ist, die Kommunikation eines Computers mit seinem Bildschirm mit einem technischen Gerät zu entschlüsseln. Für einen solchen Eingriff ist kein physikalischer Einbruch in die Wohnung nötig; man kann ihn z.B. von einem mit einer geeigneten Antenne ausgerüsteten Auto aus durchführen. Es zählen jedoch auch diese indirekten Eingriffe zu dem, was man den großen Lauschangriff nennt.

(4) Neben den Behörden unseres Staates schnüffeln hier auch noch die anderer Staaten herum, denen unsere Gesetze sowieso egal sind. Da man daran nicht viel machen kann - zur Zeit ist es ja fraglich, ob Markus Wolf deshalb überhaupt verurteilt wird - schenkt man dem im allgemeinen nicht viel Beachtung, aber man kann davon ausgehen, daß diese Tätigkeiten in ihrem Ausmaß über diejenigen von unseren Behörden hinausgehen. Auch können diese Organisationen Handy's und andere angeblich abhörsichere Kommunikationsmittel anzapfen, deren Überwachung unserem Staat bisher zu teuer war.
Ein Privatdetektiv hat mal in einer Newsgroup geschrieben, daß die meisten Wanzen, die seine Firma in den Räumen von Klienten fand, von Detektiven konkurrierender Firmen stammte und nicht vom Staat.
Auch normale Bürger können für ausländische Dienste interessant werden - wenn sie in fremde Länder reisen oder Leute kennen, die jene Länder für gefährlich halten. Es ist ein offenes Geheimnis, daß gerade der Iran und die Türkei ihren hier lebenden Bürgern nachschnüffeln, um die Opposition auch im Ausland zu zerschlagen.
Vor einiger Zeit habe ich auch gelesen, daß der BND an China Abhörtechnik lieferte, um das Recht zu haben, von chinesischem Boden aus die Aktivitäten Rußlands in Sibirien zu erfassen - in Zeiten von Glasnost und Perestrojka einerseits sowie den andauernden chinesischen Menschenrechtsverletzungen andererseits ist dieses Vorgehen wohl sehr zweifelhaft. Fachschaft math/inf