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[Editorial] [Professoren-Porträt : Prof. Dr. Frank Herrlich]

5 Jahre Studium - 40 Jahre Berufstätigkeit

Prof. Dr. Peter Lockemann

Datum: Februar 1998

Die Überschrift sagt es schon: Von der Zeit zwischen Abitur und Ruhestand verbringt eine akademisch ausgebildete Persönlichkeit nur wenig mehr als 10% an der Universität (so sieht es jedenfalls die Prüfungsordnung!). Diese Zeit muß also dazu herhalten, dem oder der Studierenden all das Rüstzeug mit auf den Weg zu geben, mit dem er oder sie sich in den restlichen fast 90% des Arbeitslebens behaupten kann.

Alle Fachleute sind sich einig: "Behaupten" heißt in Zukunft etwas anderes als das, was man aus dem Elternhaus erfahren hat. Wissen wird immer umfangreicher und kurzlebiger - also muß man sich auf häufigen Wechsel der Arbeitsrichtung, kontinuierliche Weiterbildung und ein abnehmendes Gewicht der gesammelten Erfahrungen einstellen. Staatliche Dienstleistungen werden, soweit sie nicht den hoheitlichen Bereich betreffen, immer mehr in den privaten Bereich abwandern und damit den Gesetzen des Marktes unterliegen - die sicher kalkulierbare Altersversorgung wird der Vergangenheit angehören. Großunternehmen zerlegen sich in kleinere Einheiten, die nur überleben, wenn sie Innovationskraft mit Markt- und Kundenorientierung verbinden und wenn sie dem Kostendruck einer globalen Wirtschaft widerstehen - Arbeitsplätze werden nicht nur unsicherer werden, ein häufiger Wechsel des Arbeitgebers ist unausweichlich. Dieselben Fachleute sehen sogar voraus, daß der Berufstätige - und das gilt gerade auch für Universitätsabsolventen - künftig zwischen drei Phasen laufend wechseln wird: Unselbständiger Mitarbeiter eines Unternehmens, freiberufliche Tätigkeit in Unabhängigkeit oder im Werkvertragsverhältnis, Arbeitssuche.

Bereitet nun die universitäre Ausbildung ihre Studierenden auf diese veränderte Berufswelt vor? Man liest genügend pauschale Urteile, die diese Frage verneinen. Ich behaupte: Die Karlsruher Informatik ist da gar nicht so schlecht, und ich will das begründen.

  • Wie alle Studiengänge in den Natur- und Ingenieurwissenschaften sieht die Karlsruher Informatik ein wesentliches Ziel des Hauptstudiums darin, "das Lernen zu lernen", indem es den Studierenden die Möglichkeit gibt, sich exemplarisch in Vertiefungsfächer ihrer Wahl einzuarbeiten. Wir weisen bei Beratungen stets darauf hin, daß man sein Vertiefungsfach nach Neigung und nicht zwanghaft unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsschwerpunktes einer nachfolgenden Berufstätigkeit wählen sollte - selbst wenn der Eintritt in den Beruf noch damit begänne, so dürfte man schon nach wenigen Jahren das Gebiet gewechselt haben.

  • Nun sind die Berufsjahre nicht allein durch fachliche Kompetenz geprägt. Gefordert wird vielmehr auch die sog. "soziale Kompetenz". Umgang mit Kollegen, Vorgesetzten, Untergebenen, Kunden, Konkurrenten muß gelernt sein. Zielorientierung, Standfestigkeit, Einfühlungsvermögen und die Kunst des Kompromisses müssen entwickelt werden. Denken in Wirtschaftlichkeit, Kosten, Nutzen muß geübt werden. Vertragstreue, Projektmanagement, Zeit- und Finanzplanung sollen beherrscht werden. Manche Universitäten vermitteln erste soziale Kompetenz über sog. Projektsstudien. Ich meine, daß viele Institute der Universität und das Umfeld der Universität auch so genügende und vielleicht sogar bessere Möglichkeiten für die Entwicklung einer sozialen Kompetenz bieten. Zahlreiche Institute der Fakultät und benachbarter Fakultäten bieten über größere Projekte Diplomanden, Studienerarbeitern und studentischen Hilfskräften Gelegenheit, Teamarbeit, Projektplanung, Termintreue und Projektmanagement kennenzulernen. Noch stärker gilt das für einige der Forschungseinrichtungen im Umfeld, die intensiv mit der Wirtschaft zusammenarbeiten und Projekte unter industriellen Randbedingungen durchführen, so etwa das Forschungszentrum Informatik (FZI), das Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung (IITB) oder das Forschungszentrum Karlsruhe (FZK). Und schließlich wimmelt es im Umfeld von technologisch orientierten Jungunternehmen, die von der Mitwirkung studentischer Mitarbeiter leben. Flankierend kann man sich noch einschlägiges Wissen aneignen, indem man die neuen, von Industriepraktikern angebotenen Blockveranstaltungen zu "Projektmanagement" und "Vertrieb" besucht.

  • Globalisierung der Märkte bedeutet auch, daß man sich während seiner Berufstätigkeit häufig im Ausland wiederfindet oder Kunden und Partnern aus dem Ausland gegenübersitzt. Oft hat man es da wirklich mit "fremden Welten" zu tun - andere Denkweise, anderer kultureller, sozialer und geschichtlicher Hintergrund machen das Kommunizieren schwer und verlangen nach Einfühlungsvermögen. Auch diese Fähigkeiten sollte man frühzeitig entwickeln. Ein Jahr Studienaufenthalt im Ausland kann da Wunder bewirken. Die Fakultät hat inzwischen vielfältige Verbindungen aufgebaut und beteiligt sich an zahlreichen Austauschprogrammen. Auch die Anerkennung der an der Gasthochschule erbrachten Prüfungsleistungen macht kaum Schwierigkeiten und schon garnicht, wenn man sich mit den einschlägigen Professoren der Fakultät vorab abgesprochen hat und danach die Verbindung über elektronische Post hält.

  • Wenn schon freiberufliche Tätigkeit, warum dann nicht gleich unter die Unternehmensgründer gehen? Derzeit wimmelt es von Veranstaltungen - auch an unserer Universität -, sind doch Existenzgründungen zum Lieblingsthema der Politiker geworden. Aber da sind doch einige Vorbedingungen zu erfüllen. Zunächst: Eignet man sich überhaupt zum Unternehmer? Das kann man über einen Test herausfinden. Habe ich eine tragfähige Geschäftsidee, und ist ein hinreichender Markt dafür vorhanden? Fachleute können da im Gespräch weiterhelfen. Wieviel Geld muß ich zunächst aufbringen, und wann erziele ich die ersten Einnahmen, wie lange ist die finanzielle Durststrecke? Dazu muß ein Geschäftsplan aufgestellt werden, und wie man das tut, kann man über Kurse erlernen oder per Beratung von Fachleuten erfahren. Und woher kommt dann schließlich das notwendige Anfangskapital? Trotz aller Negativschlagzeilen - es ist durchaus Geld vorhanden, aber man braucht sicherlich Gönner und Helfer, und die kann man durch Vermittlung ausfindig machen. Eigentlich braucht man nur eines: Mut! Für alles andere hat sich in Karlsruhe ein gemeinnütziger Verein mit Namen "Cyberforum" gebildet, übrigens als maßgeblich von der lokalen Wirtschaft getragene Privatinitiative. Ein Blick ins Web genügt!

Warum ich das alles schreibe? Professoren haben die Aufgabe, die ihnen anvertrauten Studierenden auf ihren beruflichen Lebensweg - wie sagten wir eingangs: 40 Jahre! - vorzubereiten. Dazu gehört eben nicht nur die Vermittlung von Fachwissen und dessen Weiterentwicklung über Forschungsaktivitäten, sondern auch die Vermittlung der anderen erforderlichen Kompetenzen oder zumindest die aktive Mitwirkung bei der Schaffung eines Umfelds, das diese Kompetenzen vermitteln kann. Und dann muß man natürlich auch noch aktiv für die geschaffenen Möglichkeiten werben - sich sozusagen an die Studierenden als Kunden wenden. Und das geschieht hiermit!

Ich hoffe, man nimmt mir nun ab: So schlecht sind wir in Karlsruhe wirklich nicht! Das soll aber nicht heißen, daß wir nicht noch besser werden können. Wäre es nicht eine gute Gelegenheit, den "Eulenspiegel" als Forum dafür zu nutzen, wie dies aussehen könnte?

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